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Bettina Kremberg  
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Rabenmutter Alma Mater!

10 Thesen zum Verhältnis

von Wissenschaft und Familie


 

Vortrag im Rahmen des Seminars
„Berufseinstieg Wissenschaft“
vom 16-18. November 2007 in Saalfeld / Thüringen

Für viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissen-schaftler überschneidet sich die Qualifikationsphase (Magister- bzw. Diplom-, Promotions- und Habilitationsphase) zeitlich mit der Phase der so genannten ‚Familienplanung’. Leider wird dabei die Verantwortung für die Familie zumeist noch immer nach dem traditionellen Muster allein den Frauen zugeschrieben. Die Universität verliert Jahr um Jahr zahlreiche hoch qualifizierte Nachwuchswissenschaftlerinnen, weil die formalen und informellen Arbeitsstrukturen in der Wissenschaft auf die Berufsbiographie eines von sämtlichen ‚Versorgungspflichten’ freigestellten Individuums abgestimmt sind. Ich bin der Meinung: Erst wenn die dadurch auftretende so genannte ‚Vereinbarkeitsproblematik’ von Wissenschaft und Familie künftig von allen Seiten also auch als ein Problem der Männer / Väter / Nachwuchswissenschaftler verstanden wird, kann die strukturelle Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen effektiv und nachhaltig beseitigt werden.
Im Folgenden möchte ich zu dieser Grundüberzeugung zehn, zum Teil persönliche und inhaltlich vermischte Thesen zum Thema ‚Wissenschaft und Familie’ vorstellen.

1. These: Das mittelalterliche Wissenschaftsethos ist ein überholter Berufsmythos. Amen!

Da sich die Wissenschaften traditionell, das heißt spätestens seit den mittelalterlichen Klöstern, an einem Bild eines engagierten, bis zur Selbstausbeutung aufopferungsvollen, allein auf die hehren Ziele der Erkenntnis ausgerichteten Berufsethos verpflichten, ist es nicht verwunderlich, dass in diesem Bild die Vorstellung von Familie, Kindern und oder allem, was ‚ablenken’ könnte, keinen Platz hat. Als Institution gleicht der Wissenschaftsbetrieb in seiner Struktur einem mittelalterlichen Kloster – beide fordern von ihren Vertretern einen unbedingten Glauben und ungeteilte Hingabe an die Sache ab.

Die Zeiten haben sich geändert, möchte man glauben. In modernen, zunehmend säkularisierten und aufgeklärten Zeiten geht es weniger bekenntnishaft, kontemplativ und treu zu. Längst hat sich realpolitische Problemlösungsmentalität und eine Praxis der Wissensproduktion und Wissensbewahrung etabliert, die der ‚Gerechtigkeit’ zuliebe zwischen den Geschlechtern nicht mehr unterscheidet. Allerdings muss bei so viel neuer Gerechtigkeit schon auch noch Kontinuität gewahrt werden: Das personalstrukturelle Moment solcher Wissensproduktion ist und bleibt deshalb weiterhin eine männliche ‚Normalbiographie’ mit weitgehender Freisetzung von alltäglichen Hausarbeiten und Kinderbetreuung. Ganz zufällig passt dann die ‚Wissenschaft als Berufung’ eben nicht mehr zu weiblichem Beruf, der Gebärfähigkeit und der Übernahme von Verantwortung für Kinder gerade noch so integrieren lässt. – Wer sich nun schon mal Wissenschaftlerin berufen sieht, der sollte sich also besser keine Kinder anschaffen, sagen Männer und Frauen an den Hochschulen gleichermaßen. Aber wissen die das auch aus Erfahrung?

Eine weitere Konsequenz moderner, vor allem habitueller Halbreformen im Wissenschaftsbetrieb ist dann auch die geschlechtsspezifische Zuschreibung unterschiedlicher Leistungserwartungen. Auch hier gibt es Kontinuitäten, die sich von den mittelalterlichen Klöstern bis heute durchziehen. Dabei genießen Männer in der Regel einen Vertrauensvorschuss hinsichtlich ihrer langfristigen Leistungserwartung. Es wird nämlich so argumentiert: Wer von den Versorgungspflichten für Kinder und Familie frei ist und sich so ausgiebiger der wissenschaftlichen Forschung und Lehre widmen kann, der kann – rein rechnerisch und quantitativ gesehen – auch mehr und ‚gewichtigeres Wissen’ akkumulieren. Wissenschaftlerinnen hingegen schreibt ‚man’ wegen des möglicherweise einsetzenden Kinderwunsches eher keine langfristige Verfügbarkeit und – weil sie dann ja auch sicher öfter ausfallen und bestimmt auch ihre Gedanken bei der Umsorgung der Familie haben – geringere Leistungsfähigkeit zu. ‚Möglicherweise’, ‚sicherlich’ und ‚bestimmt’ sind also die modalen Instanzen, auf die sich solche Wahrscheinlichkeits-Argumentationen stützen! Die Fakten aus entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen sprechen belegen jedoch das Gegenteil. Lebensweltliche Ignoranz stützt offenbar Mythenbildung.

Derlei Mythen wirken sich natürlich auch auf das Selbstverständnis der sich zur Wissenschaft berufenen Frauen aus: Die unterstellenden Zuschreibungen führen nicht nur zu kompensatorischen Arbeitsinvestitionen und einer stärkeren Beweislast der Kompetenzen und Fähigkeiten auf Seiten der Wissenschaftlerinnen, sondern auch zu einer vorsichtigeren Investition materieller und immaterieller Ressourcen von Hochschullehrern in Wissenschaftlerinnen sowie eine intensivere Investition in männliche Nachwuchswissenschaftler.

Das bisher gepflegte, sich nur unwesentlich vom mittelalterlichen unterscheidenden Wissenschaftsethos ist also in dieser Interpretation ein auf sich selbst beschränktes Ethos. Es duldet keine geteilte Aufmerksamkeit und wirkt in dieser Inanspruchnahme an das Individuum fürsorge- und verantwortungs-, wenn nicht gar auf lange Sicht lebensfeindlich.

Wissenschaft und Familie sollten sich aber nicht ausschließen. Schließlich generieren sich die Probleme, die die Wissenschaft lösen möchte, (wenn manchmal auch auf hochtheoretischen Umwegen) aus genau dieser Lebenswelt und sollten auch wieder Eingang in sie finden. Aber nur, wer die Lebenswelt mit all ihren Facetten – und dazu gehört unter Umständen auch, eine Familie oder Kinder zu haben – kennt, kann ihre wirklichen Probleme auch erkennen und anpacken.

2. These: Der Wissenschaftsbetrieb ist weiterhin ‚männlich’. Spielregel für Frauen: Und raus bist du!

Insgesamt besteht laut einer Kurzexpertise zum Themenfeld Frauen in Wissenschaft und Forschung, die im Auftrag der Robert Bosch Stiftung angefertigt wurde1, das wissenschaftliche Personal zu 29,1 Prozent aus Frauen mit großen Unterschieden hinsichtlich Status und Qualifikation. Liegt der Frauenanteil bei den Lehrkräften für besondere Aufgaben noch bei 44 Prozent, so sind nur noch 33,9 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen mit Frauen besetzt. Bei den Dozenturen und Assistenturen beträgt der Frauenanteil dann nur noch 28 Prozent. Von allen Professuren waren im Jahr 2004 13,6 Prozent mit Frauen besetzt und lediglich 9,2 Prozent der höchstdotierten Professuren (C4) haben Frauen inne.2 Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland damit sowohl in der Hochschullandschaft als auch in der außerhochschulischen Forschung und der industriellen Forschung den vorletzten Platz ein.

Die Ursachen der sich hierin abzeichnenden Marginalisierung von Frauen in der Wissenschaft sind dabei, wie die seit nunmehr 40jährige Erforschung dieses Phänomens ergibt, sehr unterschiedlich. Deshalb wurden unterschiedliche Forschungs-schwerpunkte gelegt, zum Beispiel auf die spezifische Art der weiblichen Karriereverläufe, die individuellen Faktoren und strukturellen Barrieren. Dazu gehören vor allem subtile Benachteiligungen und Ausgrenzungen, zum Beispiel die Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses nach dem ‚Prinzip homosozialer Kooptation’. Das heißt, die die informellen Strukturen, die aufgrund der dezentralen und veränderungs-resistenten Entscheidungsstrukturen des bundesdeutschen Wissenschaftssystems wirksam sind, bekommen einen hohen Stellenwert zugeschrieben. Eine allenthalben stattfindende geringere Integration von Wissenschaftlerinnen in informelle Kreise, die männlich dominiert werden, wirkt sich dann natürlich auch ungünstig auf die Einbindung von Frauen in den Wissenschafts-betrieb aus, zumal die individuelle Förderpraxis sowie die geringe Formalisierung und Transparenz der Stellenvergabepraxis als Ausgrenzungsfaktoren dieser Situation Vorschub leisten. Diese subtilen aus der klösterlichen Tradition her stammenden Substrukturen in der Wissenschaftsorganisation haben sich also derart in die Professionalisierung der modernen Welt eingeschlichen, dass sie für beide Geschlechter differenz-verstärkend und nicht Geschlechterunterschiede auflösend, wie suggeriert wird, wirken.

3. These: Frauen sind nicht  nur ebenso gute Wissenschaftler wie Männer, sondern verfügen auch über bessere Sozialkompetenzen.Frauen, verwöhnt nicht das andere Geschlecht, sondern Euch selbst!

Zahlreiche Studien zur Entwicklung von Karrieren belegen, dass Frauen mindestens ebenso gute Studienabschlüsse vorlegen wie Männer. Sie sind auch zahlenmäßig ihren männlichen Kollegen in vielen Fächern überlegen. Doch schon nach dem Studium, aber vor allem nach der Promotion sind sie in den Universitäten und Hochschulen unterrepräsentiert. Die Suche nach den Ursachen hierfür rückte in den letzten 5–10 Jahren – und vor allem in Verbindung mit der Nachricht, dass Akademikerinnen keine Kinder mehr bekämen – parteipolitisch in den Vordergrund.

Inzwischen gibt es auch reichlich Maßnahmekataloge und Anreizsysteme, auf die spezifischen lebensweltlichen Umstände der Frauen Rücksicht zu nehmen bzw. diesen besonderen Biographien auch Aufmerksamkeit zu schenken. Dadurch konnte schon einiges geändert werden. Bedenklich bleibt jedoch weiterhin, dass Deutschland – zumindest was die statistischen Werte anbetrifft – noch immer das Schlusslicht der Frauenförderung im universitären Bereich in Europa bildet. Ich bin der Meinung, dass sich solange daran auch nichts ändern wird, wie das traditionelle Wissenschaftsbild und damit ein schräges Verständnis von Arbeitsteilung weiterhin in den Köpfen von Männern und Frauen festsitzt. Und dazu gehört meines Erachtens nach, dass sich die akademischen Männer mehr um Familie und Kinder kümmern sollten, damit ihre Frauen überhaupt erst mal zeigen können, was sie auf dem „Kasten“ haben. Doch selbst, wenn die neuen Väter bereit sind, mehr für ihre Kinder zu tun, sind sie oft nicht sozialkompetent, d.h. geduldig, unterstützend, lobend, umsichtig, selbstlos usw. genug, damit Frauen guten Gewissens ebenso die andere ‚männliche Seite’ ausleben können.

Die Realität sieht deshalb auch anders aus: Obwohl sich seit Ende der 80er Jahre der Wissenschaftsrat und die Bund-Länder-Kommission mehrfach mit der Situation von Frauen in der Wissenschaft befasst und Schlussfolgerungen gezogen sowie Empfehlungen ausgesprochen haben, hat die Hochschulrektoren-konferenz bislang keine explizite Stellungnahme zur Chancen-gleichheit an Hochschulen publiziert. Zwar wurden die Hochschulen 1985 zur Förderung der Chancengleichheit verpflichtet und Gleichstellungsangestellte eingesetzt, aber diese Neuerungen greifen nur langsam. Da Frauen für ein erfülltes Leben mit einem ausgeglichenen Verhältnis von Arbeit, Familie und Freizeit nach wie vor offenbar einen höheren Preis zu zahlen haben als Männer, weichen sie oftmals dem Weg mit weniger Erfolgschancen und weniger Zuspruch aus, obwohl sie über gleiche wissenschaftliche Fähigkeiten verfügen.

4. These: Hundertprozentige Chancengleichheit von Mann und Frau gibt es (noch) nicht. Frauen, da ist noch mehr Selbstausbeutung drin: Auf ins Prekariat!

Seit Ende der 80er Jahre wurden – wie bereits erwähnt –Hochschulsonderprogramme eingerichtet, die die Förderung von Wissenschaftlerinnen zum Ziel hatten. Dies wurde vor allem in Form von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie umgesetzt. Im Wesentlichen standen dabei Kinderbetreuungszu-schüsse, Kontakt- und Wiedereinstiegsstipendien sowie Werk-verträge und personenbezogene Förderungen auf der Agenda. Später kamen auch Habilitationsförderprogramme dazu. Die Statistiken belegen aber auch, dass oftmals wegen der nach dem Studium anstehenden Familiengründung Frauen sehr viel öfter auf Karrierechancen einfach verzichten, da diese Karrieren erstens sehr unsicher und zweitens mit großen finanziellen Einbußen verbunden sind. Aber selbst in Doppel-Akademiker-Haushalten, wo es Studien zufolge ‚überdurchschnittlich gerecht’ zugeht, sieht es auch immer noch so aus, dass durchschnittlich mindestens 60 Prozent des Kümmerns um Kinder und Haushalt von den Frauen erledigt wird, gleichzeitig aber von diesen Frauen auch immer mehr Leistung zur Bestätigung und Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Kompetenz abgefordert wird als das für ihre männlichen Kollegen gilt.

Bis zur Chancengleichheit ist es also noch ein weiter Weg. Wer sich für Familie und Wissenschaft zugleich entscheidet, der entscheidet sich immer auch für einen Kampf um mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, denn es kommt nur soviel Gerechtigkeit in die Welt wie die Benachteiligten durchsetzen.

Leider ist es zudem so, dass aus mangelnder Lobby, Fehlbesetzungen von Stellen für Frauen- oder Gleichstellungs-beauftragte sowie Fehlern in der Verteilungspraxis immer wieder Eigentore geschossen werden bezüglich der Ausnutzung von Möglichkeiten, die formal gegeben sind. So ist es ein Skandal, dass Wiedereinstiegsstipendien und Habilitationsstipendien zur Herstellung von Chancengleichheit wieder abgeschafft wurden, weil nur wenige die komplexen Kriterien in ihrer Gesamtheit erfüllen konnten.

5. These: Familie heißt Kampf um eine Lebensform. Aber nur ein Geschlecht ringt darum. Häh, wieso das eigentlich?

Heutzutage gibt es ganz unterschiedliche Modelle, sein Leben zu führen. Neben dem Singledasein, das unter Intellektuellen und Akademikern häufig gepflegt wird, treten immer auch verschiedene Modelle des Lebens mit anderen. Solange es sich dabei um einen erwachsenen Partner / eine Partnerin handelt, muss diese/r bereit sein, sich auf die hohen Anforderungen an Flexibilität des Standortes, lange Arbeitszeiten und Zeiten großer finanzieller Unsicherheit sowie Unsicherheit in Bezug auf Karrierechancen einzustellen. Dies ist sicher nicht wenig. Aber um wie viel höher scheinen diese Anforderungen sich auf eine Familie auszuwirken, in der zusätzlich auch noch Kinder eine Rolle spielen. Denn hier müssen sich nicht nur die Partnerin / der Partner, sondern auch noch die Kinder den Wünschen und dem Willen der Erwachsenen nach Selbstverwirklichung und Karriere unterordnen. Oft entsteht dabei eine Schieflage in der beruflichen und häuslichen Arbeitsteilung der Partner, die stets auf Neue ausgeglichen werden muss.

Man sollte also glauben, dass es in Partnerschaften, wo beide Partner Akademiker sind, unter diesen auch ein größeres gegenseitiges Verständnis geben sollte für die Anforderungen des anderen. Und tatsächlich belegen Studien, dass diese Partnerschaften ‚überdurchschnittlich gerecht’ bzw. egalitärer ihre beruflichen und häuslichen Pflichten und Rechte teilen. – Aber egal, welches Modell man wählt oder welches Modell einen trifft: Eine Familie geschieht im akademischen Leben nicht einfach, sondern sie muss dem Wissenschaftlerinnenleben abgerungen werden. Diesen Kampf gilt es, für Frauen taktisch klug zu führen. Es ist aber kein Kampf gegen die Wissenschaft, sondern ein Kampf gegen den Wissenschaftsbetrieb und seine Strukturen. Denn die Wissenschaft ist eine abstrakte Idee. Es ist die Idee vom zunehmenden Begreifen und Gestalten der Welt durch die Kenntnis ihrer inneren Zusammenhänge – seien es naturwissenschaftlich-kausale oder kulturwissenschaftlich-phänomenale Zusammenhänge in ihrer Komplexität. Der Wissenschaftsbetrieb hingegen ist eine reale Konkretion dieser abstrakten Idee. Als konkrete Institution versucht sie innerhalb ihrer Strukturen dieser Idee gerecht zu werden. Als Betrieb ist die Wissenschaft jedoch auch immer darauf bedacht, ergebnisorientiert und effektiv zu sein und nimmt keine Rücksicht darauf, ob man sich selbst überfordert und ausbeutet.

Der Kampf fängt also bei einer entsprechenden selbstbewussten und gelassenen Haltung gegenüber den kolonialisierenden Tendenzen der wissenschaftlichen Mitwelt und ihren Strukturen an, denn nur in einer ausgewogenen Kräfteeinteilung kann man Karriere und Familie gleichermaßen ‚genießen’, wenngleich man in kauf nehmen muss, dass dabei die Kollegen an einem karrieremäßig vorbeiziehen werden. Deshalb ist nicht nur die Selbstausbeutung im Wissenschaftsbetrieb zu problematisieren, sondern gilt es auch, das Thema der so genannten Altersdiskriminierung unter dem Aspekt Wissenschaft und Familie neu zu beurteilen. Denn es betrifft nach wie vor allem Frauen, die durch Kindererziehungszeiten und Kinderbetreuung bei Krankheit ihrem Partner und der Karriere ‚hinterherhinken’. Bei Bewerbungen um z.B. Stipendien oder Stellen gibt es aber vorgeschriebene Altersgrenzen, die solche Aspekte noch zu wenig berücksichtigen.

6. These: Seit 40 Jahren dasselbe: Das Politische ist privat und das Private politisch! Recht hatten die 68er!

Dieser Slogan aus den 68ern ist aktueller denn je. Endlich hat die Politik auch die Familie im Blick – diesmal nicht nur – polemisch gesprochen – als Steuerzahler, Arbeitskraft und potentiellen Soldatenlieferanten, sondern auch als demographischen Faktor. Natürlich darf man sich auch an dieser Neuausrichtung nichts vormachen, denn interessant ist für den Staat momentan lediglich die Aufrechterhaltung eines Lebensniveaus, das auf einem bestimmten Ökonomie-Verständnis beruht. Kinder tauchen dabei vor allem als potentielle Renten-Erwirtschafter auf. Ich kenne aber keinen Menschen, der sich Kinder wünscht und eine Familie gründet allein aus dem Grunde, dass diese Kinder ihm später die Rente sichern. Diese ‚kausale Beziehung’ ist absurd! Und auch in der Politik ist sie eine schiefe Argumentation, denn immerhin werden ja nicht irgendwelche Kinder vom Staat gewünscht, sondern vor allem Akademiker-Kinder – auch dies sicherlich aus wirtschaftlichen Gründen. (Aber diese Argumentation läuft dann doch eher auf eine zynische, menschenverachtende Debatte hinaus.)

Demgegenüber bin ich der Meinung, dass man sich von diesen staatlichen Motiven loslösen und aus der politischen Aufmerksamkeit vielmehr Gewinn schlagen sollte für die eigenen Ziele, nämlich Strukturen zu schaffen, die Wissenschaft und Familie nicht immer wieder gegeneinander ausspielen. Dazu gehören selbstverständlich materielle Infrastrukturen wie die Verbesserung der Betreuungssituationen für Kinder von angehenden Akademikern, aber auch vor allem eine Veränderung in den Köpfen derjenigen, die in den leitenden Positionen unserer Hochschulen sitzen. Diese Bewusstseinsveränderung herbeizuführen, geht jedoch nicht oder nur sehr indirekt durch Hochschul-sonderprogramme zur Chancengleichheit, sondern nur durch konkrete persönliche Einflussnahme, und zwar durch Überzeugung und ‚Inkontaktbringen’ auch mit familiären Problemen und in Verbindung mit der Aufstellung von Forderungen nach strukturellen Veränderungen. Wer also ein familienfreundliches Umfeld sucht, der muss es sich im privaten wie im beruflichen Bereich schaffen, also erkämpfen. Dazu gehört es u.a., Schluss zu machen mit dem Tabu, über Familiäres an der Hochschule nur zu reden und etwas mehr Verständnis und Rücksichtnahme für Familien zu wünschen. Vielmehr denke ich, dass Politik und Privates eng zusammenhängen und sich gegenseitig wechselwirkend beeinflussen. So stellt jeder, der Wissenschaft und Familie als Einheit leben will, im Grunde ein Verbindungsscharnier von Privatem und Politik dar, das zwischen diesen beiden Bereichen des Lebens immer changiert und vermittelt. Politische Einflussnahme und engagierter Einsatz für die ureigensten Belange ist dabei angesichts der enormen Hierarchien und Abhängigkeiten vom Hochschulpersonal eine ganz besondere Herausforderung und erfordert realpolitisches Feingefühl und die Kenntnis von hochschulpolitischen Handlungsspielräumen und politischen Spielregeln.

7. These: Familienkampf braucht kollektive Unterstützung.Wer zu spät (oder gar nicht) kommt, die bestraft das Leben.

Sicher, sein Leben muss jeder selber führen. Das heißt aber nicht, dass jede Mutter oder jeder Vater auf sich allein gestellt bleiben muss und für sich selbst nur kämpft. Die in den letzten Jahren vor allem von Frauen aufgebauten Netzwerke müssen nunmehr auch stärker ein politisches Gewicht bekommen. Deswegen wäre es unklug, auf die Strukturen, auf finanzielle Unterstützung und speziell für Frauen und Familien errungene Vergünstigungen und Unterstützung zu verzichten. Deshalb kann ich immer nur auffordern: Seien Sie als zukünftige Mutter oder Vater, Tante oder Onkel auch öfter mal präsent mit ihren Problemen und Sorgen und fordern Sie Unterstützung ein! Versuchen Sie die ihr Umfeld nicht von den Anstrengungen und Problemen der Kindererziehung zu entlasten, sondern teilen sie z.B. die Kinderbetreuungssorgen auf viele Schultern auch außerhalb der Kleinfamilie auf, sondern als Problem von Chancenbenachteiligung anderen mit! Zeigen sie mit ihrer Person, dass sie und eigentlich jeder / jede auf Hilfe angewiesen ist. Nutzen sie die Angebote, die die Hochschule für diesen Kampf bietet. Es wäre fatal, nicht die Angebote von z.B. StudentInnenrat, Gleichstellungsbeauftragte, Elternzentren, Mütterstipendien bzw. Wiedereinstiegsstipendien, den Frauenförderplan der Universität, Sozialamt, Arbeitsamt usw. zu nutzen. Jedes Nichtnutzen demonstriert nämlich gewissermaßen eine Entbehrlichkeit dieser Einrichtungen und bedeutet einen Rückschritt innerhalb der Frauen- und Geschlechteremanzipation.

8. These: Konkurrenz belebt das Geschäft? Das hat natürlich Folgen!

Vor allem in Doppel-Akademiker-Familien mit Kindern steht der Druck, beruflich voranzukommen, in diametralem Gegensatz zum Zeitkontingent, das zur Verfügung steht. Trotz Auslagerung von einem Großteil der Betreuung, Teilung der häuslichen Arbeit und formaler Gleichstellung am wissenschaftlichen Arbeitsplatz entsteht zwischen Akademiker-Paaren trotzdem oftmals Konkurrenz um die Ressource Zeit. Obwohl gerade bei Akademiker-Paaren mit Kindern die flexible Arbeitszeitgestaltung ein stark ins Gewicht fallender Grund ist, überhaupt eine Familie mit Kindern zu gründen, fördert u.a. gerade diese angebliche Flexibilität gleichzeitig auch die Konkurrenz. Diese entsteht nämlich nicht nur deshalb, weil die Menge an Stunden ins Gewicht fällt, die jemand in seinen Job investiert, sondern vor allem auch durch die Gewichtung und Dringlichkeit der Termine, die als Argumente angeführt werden, wenn man z.B. die Kinder nicht aus dem Kindergarten abholen kann.

Da rein statistisch gesehen, die Geburt eines Kindes die Mutter ca. 1–2 Jahre Verzögerung in der Karriere kostet, der Partner in einer Akademikerfamilie dementsprechend bei 2–3 Kindern etwa 4 Jahre Karrierevorsprung voraus hat, dazu oft 1–2 Jahre älter als die Partnerin ist, reicht die so errungene Statusposition oft schon allein als Argument, in die höhere Karrierestufe mehr Zeit zu investieren als in die niedere der Frauen, um die sonst überdurchschnittlich gerechte Arbeitsteilung wieder in eine konservative Schieflage zu bringen. Da überdies – wiederum statistisch gesehen – die Beziehung der Mütter zu ihren Kindern im Durchschnitt als emotional stärker bindend empfunden wird als bei Männern, fügen sich beide Partner, obwohl sie eine gleichberechtigte Partnerschaft führen wollen, in die traditionellen Muster schnell wieder ein. Jede mehr Gerechtigkeit verlangende Aktion von Seiten der Frauen schafft also in der Akademiker-Partnerschaft auch wieder mehr Konkurrenz zwischen den Partnern, da in der Wissenschaft Zeit nicht nur Geld, sondern vor allem Karriere bedeutet. Konkurrenz ist also nicht so sehr ein individuelles, sondern vor allem auch ein strukturelles Problem in einer Akademikerfamilie.

Aber nicht nur in der Partnerschaft und im privaten Bereich, sondern auch im Wissenschaftsbetrieb ist man permanenter Konkurrenz einerseits, Neiderei oder gar intrigantem Mobbing andererseits ausgesetzt. Die permanente Konkurrenz bezieht sich dabei natürlich darauf, dass es nur wenige Stellen gibt, dies sowohl auf studentischer als auch auf der Ebene der Universitätsmitarbeiter. Der Run auf Stellen und damit die Konkurrenz sind groß. Neben Leistungen und sozialen Kompetenzen zählen viele andere Dinge für die Beurteilung der Eignung einer Person auf eine Stelle. Das Kriterium Familie bzw. Kinder wird formal dabei hoch geschätzt, in praxi jedoch bleibt es oft bloße Rhetorik. Unterstellt wird, dass eine Frau bzw. ein Mann mit Kindern z.B. öfter wegen Krankheiten ausfällt, Nachmittags- und Abendveranstaltungen nicht wahrnehmen, überhaupt mehr geschont als gefordert werden kann. Bei dieser Art der üblichen Argumentation liegt es auf der Hand, dass bei gleicher Eignung lieber ein vermeintlich völlig unabhängiger, flexibler, immer verfügbarer männlicher Mitarbeiter eingestellt wird.

Neiderei begegnet man vor allem in solchen Instituten, wo diese Einstellungspraxen bereits langfristig und strukturell gegriffen haben und vorwiegend kinderlose Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind. Deren Überzeugung ist nämlich oft, dass man sich die Karriere durch Opfer wie z.B. Kinderlosigkeit verdient habe. Deshalb stehe sie Menschen, die dieses ‚Opfer’ nicht gebracht haben, nicht zu. Gerade bei Frauen, aber auch bei Männern, begegnet man deshalb des öfteren auch übler Nachrede, Klatsch und Mobbing, die ihre tieferen psychologischen Gründe nicht selten in Neid auf den gelebten Doppelanspruch: Familie und Wissenschaft haben. Darauf muss man sich also als potentielles Elternteil zuweilen gefasst machen.

9. These: Überzeugungsleistung braucht Wissen – und eine Menge Geduld!

Um nicht nur in Konkurrenz- oder Neiderei-Situationen bestehen zu können, sondern auch, um seine eigene Position in die Öffentlichkeit zu tragen und damit sich selbst und den nachfolgenden Generationen von Männern und Frauen, die keinen Keil zwischen Wissenschaft und Familie treiben wollen, sondern diese beiden Facetten des Lebens in Vereinbarkeit leben wollen, ist es immer hilfreich, sich entsprechendes Wissen anzueignen und zu verbreiten. Inzwischen gibt es viel Material zum Thema, das im Internet oder in Bibliotheken steht. Die erste Adresse, mit der man sich auseinandersetzen muss, ist dabei natürlich der eigene Partner, dann aber natürlich auch Freunde und Kollegen und die Öffentlichkeit. Statistische Zahlenangaben nützen der persönlichen Veränderung oder Stärkung der Situation zwar im konkreten Fall nicht allzu viel, verändert aber aufgrund ihres wissenschaftlich-überzeugenden Charakters oftmals aber langfristig zumindest das Bewusstsein des Gegenübers, so dass man beim nächsten Gespräch vielleicht z.B. nicht wieder von Null anfangen muss. Rechnen muss frau aber lieber mit einer extrem langsamen Einsichtszeit von Männern.

10. These: Vorbild sein, ist nicht schwer, Vorbild werden, dagegen sehr: Neue Rollen schaffen! – Aber doch nicht an den Hüften!

Wenn es um die Verbindung von wissenschaftlichem Beruf und Familie geht, kann die Professorin, die bis nachts im Büro arbeitet und keine Kinder hat, ebenso wenig alleiniges Vorbild sein wie ihre männlichen Kollegen mit konservativer Familienstruktur (Hausfrau mit Kindern), denen diese Professorinnen Konkurrenz machen wollen. Deshalb ist es hilfreich, sich konkrete Personen auszusuchen, die die Verbindung von wissenschaftlichem Karrierestreben und Familienleben vorleben. Diese kann man dann auch als Mentoren ansprechen für den jeweiligen Schritt auf eine neue Qualifikationsebene. Nicht selten ergeben sich aus solchen Mentorenkontakten oft auch neue Netzwerke mit Menschen, die ähnliche Lebensansichten und -formen teilen. Diese Vorbildsuche gilt es, synergetisch wie pragmatisch anzugehen und kreativ auf die eigene Situation anzuwenden. So können aus der Suche nach Vorbildern neue Rollenmuster entstehen und man selbst wird zum emanzipatorischen Vorbild.

Zum Abschluss möchte ich meine zehn Thesen noch einmal in einem einzigen Satz zusammenfassen:

Wenn also erstens das Wissenschaftsethos ein Berufsmythos ist, der zweitens auf einer traditionell männlichen Vorprägung beruht, Frauen aber drittens ebenso gute Wissenschaftler sind wie Männer, es viertens aber noch keine 100prozentige Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern gibt, wird fünftens auch die Familie zu einem Kampffeld, das sechstens sowohl eine politische als auch eine private Ebene hat, wobei es allerdings nicht reicht, alleine zu kämpfen, vielmehr braucht es siebtens Unterstützung von familienfördernden Institutionen und Privatpersonen, die einem achtens das nötige Wissen und die nötige Haltung gegen neuntens Neid und Konkurrenz geben, damit man zehntens selbst zum vorgebildeten Vorbild werden kann, das neue, gerechtere Rollenmuster vorlebt, ohne sich dabei schuldig oder minderwertig zu fühlen. – Eine Überzeugung hat sich in meiner Bekanntschaft mit dem Wissenschaftsbetrieb immer wieder bestätigt: Nicht die Alma Mater als Institution ist eine Rabenmutter, sondern ihre Verwalter und Gestalter, die ‚Rabenväter’, sind es, die sie permanent dazu machen! Wir sollten die Hoffnung allerdings nicht vorschnell aufgeben, denn Raben sind bekanntlich gelehrige Tiere…

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Literatur

Lind, Inken: InformationsZentrum Sozialwissenschaften, Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung, Center of Excellence. Women and Science (CEWS), der Robert Bosch-Stiftung, Kurzexpertise zum Themenfeld Frauen in Wissenschaft und Forschung, Januar 2006.

 

 

 

 
 
 

 
 

 

 

Fußnoten:


Fußnote 1: CEWS, Kurzexpertise zum Themenfeld Frauen in Wissenschaft und Forschung, Januar 2006, S. 1. zurück

Fußnote 2: Die Angaben beruhen auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes, 2005. zurück