von
BETTINA KREMBERG
"Mit Die Philosophie ist dafür bekannt, dass sie über
komplizierte Sachverhalte äußerst allgemeine Aussagen trifft. Die
uns hier leitende Frage ist, welchen Beitrag kann die Philosophie
zur Erhellung des Begriffes und des Phänomens der Mitbestimmung
überhaupt hinzufügen? Die Antwort lautet: eigentlich keinen oder nur
einen geringen, denn der Begriff der „Mitbestimmung“ kann auf keine
eigene philosophische Tradition verweisen. Weder für die alten
Griechen noch für die Lateiner spielt er eine wesentliche Rolle.
Auch in der neueren philosophischen Tradition, weder in Hermeneutik,
Epistemologie, Ontologie oder Phänomenologie, noch nicht mal in der
Ethik wurde der Begriff aufgenommen. Als philosophischer Klassiker
hat einzig Hegel in seiner „Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften“ das Wort „Mitbestimmung“ im Zusammenhang von Stände-
und Finanzpolitik verwendet. Dies aber auch nur ein einziges Mal und
eher nebenbei! Mitbestimmung scheint also für die klassische
Philosophie kein wirklich relevantes Thema zu sein.
Das ist nicht verwunderlich. Der Begriff „Mitbestimmung“ ist
schließlich auch eher ein politischer – und kein genuin
philosophischer – Begriff. Im Unterschied zum Begriff der
„Mitbestimmung“ hat der Begriff der „Partizipation“ sehr wohl eine
philosophische Tradition, die spätestens in Platons Idee eines
Idealen Staates Gestalt gewonnen hat und auf viele verschiedene
Nachfolge-Konzepte nicht nur in der politischen Philosophie
verweisen kann (z.B. bei Cicero, Machiavelli, Rousseau usw.).
Im Folgenden steht jedoch nicht vordergründig die philosophische
Beurteilung politischer Konzepte zur Debatte, sondern eine
begriffliche Überlegung. Ausgehend von der Überzeugung,
dass das Eingeübtsein in soziales Handelns die Grundlage jedes
autonomen Urteilens und Tuns ist, wird das politische Kampfwort
„Mitbestimmung!“ in seiner Kooperationsproblematik näher beleuchtet.
Das heißt, es wird versucht, einige begriffliche Rahmenbedingungen
für echtes Mitbestimmen zu umreißen. Ich beschränke mich
dabei neben Bestimmungen von Kooperation, auch auf solche
Titelworte wie Teilhabe, Vernunft,
Autonomie und Wissen. Folgende miteinander
zirkulär vernetzte Thesen stelle ich mit diesem Beitrag zur
Diskussion:
- Kooperation ist die Voraussetzung von Wissen,
Teilhabe, Autonomie und Vernunft.
- Teilhabe ist eine kooperationsbasierte, auf
Vernünftigkeit, Autonomie und Wissen gestützte Reflexion auf die
Rahmenbedingungen gemeinschaftlichen Lebens.
- Wissen ist das Medium freien Kooperierens.
- Autonomie resultiert aus der freien Teilnahme und
Teilhabe an gemeinschaftlichen Kooperationsprozessen, die sich als
wissens- und kooperationsgestützte ausweisen lassen muss.
- Vernunft zeigt sich als gemeinschaftliche, auf
Teilhabe, Wissen und Autonomie basierende, regulative Idee freien
Kooperierens innerhalb einer Gemeinschaft.
- Mitbestimmung basiert auf einer kooperativen,
wissensgestützten, autonomen Teilhabe an regulativen Ideen der
Vernunft.
1. Der allgemein gebräuchliche Begriff der
Mitbestimmung
Nehmen wir zunächst das Phänomen, wie wir es vorfinden: Der
Begriff von „Mitbestimmung“, der uns aus den Debatten um die
Beteiligung von Personengruppen an politischen und / oder
wirtschaftlichen Planungen oder Entscheidungen bekannt ist, bezieht
sich im engeren Sinne auf die Teilnahme von Produktionsmittellosen
und von Institutionen Abhängigen an einem gemeinsamen
Willenbildungs- und Entscheidungsprozess der Leitungsebene innerhalb
von Betrieben oder Unternehmen. Wie aus der eben genannten, eher
politischen Kontexten der Gegenwart entstammenden, Grobdefinition
von „Mitbestimmung“ deutlich wird, geht es also um das
Zusammenbringen zweier entgegen gesetzter Seiten innerhalb eines
größeren gemeinsamen Gesellschaftsprojektes.
Was hat das mit universitären Problemen zu tun? – Zwar legt der
alte universitas-Gedanke den angedeuteten Antagonismus
alles andere als nahe und die Praxis verwundert deshalb umso mehr,
aber gegenwärtig drängt sich der Verdacht auf, dass eine Übersetzung
auf den universitären Bereich durchaus Sinn macht, denn nach den
Reformen der letzten Jahre stellt die Hochschule oder die
Universität zunehmend mehr einen hierarchischen Massenbetrieb dar,
der nach fester Führerschaft als scheinbar probatem Mittel der
Schaffung von Übersichtlichkeit verlangt. Professoren, Rektoren und
Kultusministerien gelten als leitende Expertenebene und sind damit
regelmäßig überfordert, wie Pasternack in diesem Band plausibel
macht. Studierende und Promovierende stellen analog zu diesem
Denkmodell die Abhängigen dar, die sich ihre Mitbestimmungsrechte
zunehmend auf Beraten und bestenfalls Kontrolle als Formen der so
genannten inneruniversitären Mitwirkung beschränken lassen.
Was die Universität ehemals als Kooperationsunternehmung
ausmachte, ist als Bildungs-Projekt längst perdu und wird
nur noch partiell und in intimen Nischen von einzelnen
Paradiesvögeln ersehnt und mehr oder weniger gepflegt. Von
besonderer Bedeutung ist für diese „Ewiggestrigen“ der Präfix „mit“
im Wort „Mit-bestimmung“. Das „mit“ (lat. con-, com- oder einfach
co- wie im Wort Ko-operation) im Wort „Mitbestimmung“ deutet nämlich
auf ein gemeinsames Handeln hin. Gemeinsames Handeln und Aushandeln
ist dadurch gekennzeichnet, dass im Idealfall beide Partner auf
gleicher Augenhöhe miteinander agieren. Doch meistens stellt sich
heraus, dass dieses Ansinnen ein Wunsch bleibt. Denn wie kann
zwischen relativ Unabhängigen und Abhängigen, zwischen Besitzern von
gewissen Machtinstrumenten (z.B. Lehrende, Prüfer, Doktorväter,
Hochschulverwalter) und vermeintlich Mittellosen (Prüfungs-,
Karriere- und von den Lehrenden Abhängigen) ein Disput auf gleicher
Augenhöhe erreicht werden? Gleiche Augenhöhe kann nur hergestellt
werden unter der Maßgabe des Sicheingestehens gegenseitiger
Abhängigkeit einerseits und gleichzeitiger gegenseitiger Anerkennung
der Souveränität andererseits. Das heißt, nur wenn sowohl
studentische bzw. Promovierendenseite und professorale, hochschul-
und bildungspolitische Seite gemeinsam an einem gemeinsam zu
gestaltenden Projekt namens Hochschule arbeiten, ein
gemeinsames Ziel haben, dann macht Mitbestimmung im Kern
seines Wortes Sinn. Denn Mitbestimmung heißt zunächst nichts
anderes, als gemeinsam etwas (und zwar das gemeinsame Projekt und
dessen Ziele und Methoden) mit einer Stimme (also
gemeinsam) auszuwählen und zu gestalten.
2. Kooperation
Die Determinanten kooperativen Verhaltens – so zeigen zahlreiche
sozial- und arbeitspsychologische Untersuchungen – sind sehr komplex. Das größte Dilemma, dem sich
Menschen in Kooperationsprozessen ausgesetzt sehen, ist das Abwägen
von möglichen Gemein- versus Eigennutzen, also auch
möglichen Kosten und Vorteilen. Dabei spielen solche
Rahmenbedingungen wie Zeit, Nutzen sowie kollektive Faktoren
herausragende Rollen: So ist häufig ein eigennütziges Handeln
kurzfristig von Vorteil, wohingegen sich die Vorteile kooperativen
Verhaltens für den Einzelnen oder eine Gruppe erst mittel- und
langfristig einstellen.
Motivationen für die Bereitschaft zur Kooperation können von der
Interpretation des Nutzens oder Vorteils, z.B. individuelle
Weiterqualifikationen, Aufstiegsmöglichkeiten, Lohn, mehr
Eigenverantwortung oder Entscheidungsbeteiligung, abhängig sein.
Auch die Erfahrung, dass solche kollektiven Faktoren wie Vertrauen
in die Überzeugung, dass dank gemeinsamer Kompetenzen besser und
effizienter gearbeitet werden kann als allein, fördert im
Allgemeinen die Kooperationsbereitschaft. Selbst räumliche und
dingliche Umwelteinflüsse wirken sich auf das Kooperationsverhalten
als Rahmenbedingung für soziales Handeln aus, wie einschlägige
Studien zeigen.
Solche Rahmenbedingungen für gemeinschaftliches Kooperieren
müssen gegeben sein und angewendet werden können, indem man ihre
Strukturen nutzt. Im besten Falle geschieht dies bewusst und
reflexiv, denn dann kann man sich auf sie kommunikativ und
kontrollierend verständigen. So entsteht unter der Hand und ganz
nebenbei gemeinschaftlich geteiltes Wissen, das allen Mitgliedern
der Kooperationsgemeinschaft gleichermaßen zugute kommen kann.
2.1. Wissen und Teilhabe
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Kooperation ist die
Teilhabe am (gemeinschaftlichen) Wissen um ihre
Rahmenbedingungen. Menschen wollen darauf vertrauen können, dass
auch andere ihr Wissen zur Verfügung stellen, so dass längerfristig
gesehen ein Ausgleich im Wissensaustausch, also ein reziprokes
Verhältnis, zustande kommt. Andernfalls profitieren einzelne
einseitig vom Wissen anderer und die so entstehenden Asymmetrien
führen zu einem Klima des Misstrauens, weil Wissen gehortet,
geschützt und als Mittel zur Machtgewinnung bzw. -erhaltung
eingesetzt wird.
Eine weitere wichtige Voraussetzung für Kooperation ist, dass die
Wissensweitergabe eine auf Freiwilligkeit beruhende Motivation ist.
Unterstützt wird diese Bereitschaft zur Kooperation durch eine hohe
Autonomie und Beteiligung an Entscheidungen sowie durch
flache Hierarchien und geringe innerbetriebliche bzw.
inneruniversitäre Barrieren. Indem Menschen zeitlich eindeutige und
vertrauenswürdige Perspektiven gegeben werden, können Bindungskräfte
innerhalb einer Gemeinschaft erzeugt werden, die zwar
non-profitabel für die Unternehmen sind, jedoch als
wesentlicher Teil des alltäglichen Geschäfts zu definieren und zu
budgetieren sind. Langfristig bilden sie das strukturelle Netz jeder
gut funktionierenden Institution. Insofern ist informeller und
freiwilliger Wissensaustausch für nachhaltige Kooperation ebenso
notwendig wie eigenständige Mit-Arbeiter, die über die notwendige
Entscheidungskompetenz und Autonomie bezüglich Zeitmanagement und
Arbeitsorganisation verfügen, um eigene Ideen einbringen und
umsetzen zu können. Darüber hinaus braucht es möglichst flexibler
Organisationsstrukturen mit geringen institutionellen Barrieren und
genügend Handlungsspielraum, um eigenverantwortlich kooperieren zu
können.
Kooperation ist aber nicht nur – wie die Psychologen und
Kognitionswissenschaftler uns glauben machen wollen – eine Form,
sich zu verhalten, die Menschen mit Tieren teilten, sondern ist
spezifisch menschliches Handeln und insofern bereits frei, da es
sich mit Bewusstsein als einer spezifisch menschlichen Fähigkeit
oder Kompetenz der Aufmerksamkeit und – oft empraktischen
und nicht explizit werdenden – Intentionalität vollzieht. Da sich die Rede vom Bewusstsein nicht
über ein Selbstgefühl vollständig erklären lässt, sondern über
intersubjektive Kontrollen eines absichtlichen Tuns verstanden
werden muss, bedarf es anderer Personen, um zu kontrollieren, ob ein
bestimmtes Handeln einer Absicht entsprach und im Handlungsvollzug
auch zum Tragen kommt. Diese Kontrolle geschieht nicht über
subjektive Urteile, Meinungen oder Glaubensbekenntnisse, sondern
muss in der Form des Gründegebens und –nehmens für eine generische
Wir-Gruppe nachvollziehbar und somit wiederholbar sein, denn erst in
der möglichen Wiederholbarkeit zeigt sich wirklich freies Handeln im
Unterschied zu zufälligen Widerfahrnissen.
Freies Handeln und damit freies Kooperieren setzt die Möglichkeit
der sprachlichen Explikation des Zweckes bzw. der Handlungsform –
und sei es nur als Maxime oder Grundsatz – voraus, weil nur über die
Artikulation von Handlungsregeln gegebene Handlungsalternativen als
Bedingung der Möglichkeit von Handlungsspielräumen und damit freien
Entscheidungen erfassbar sind. So, wie es Selbstbewusstsein nur in
der Teilnahme an einer Praxis der Reflexion über Formen und Normen
des Sinnvollen, Richtigen und Vernünftigen gibt, so gibt es
Bewusstsein und Selbstbewusstsein nur in einem gemeinschaftlichen,
nämlich in einem Wir-Modus, und nicht in einem privativen Entwurf
eines Selbstmodells ohne allgemeines Mit-Wissen. Jedes einzelne Tun
ist insofern nur in autonomer Ausführung bzw. Aktualisierung
generischer Handlungsformen bzw. –schemata präsentisch gegeben, und
diese sind mehr und vor allem anderes als die Summe ihrer
Einzelhandlungen.
Im Übrigen sind subjektive Gründe von guten
Gründen, auf die sich unser gemeinschaftliches – und in diesem Sinne
intersubjektives – Wissen stützt, zu unterscheiden. Subjektive
Gründe hängen vom Selbstverständnis, dem Vorstellungsvermögen und
dem Erfahrungshorizont des Handelnden ab, d.h. von den
antizipierbaren Möglichkeiten alternativer Handlungsoptionen. Gute
Gründe sind solche, die auf eine gemeinsame Bewertung möglicher
subjektiver Gründe verweisen. In diesem Sinne gehören sie in einen
Bereich kulturell verfügbaren Orientierungswissens, das immer auch
mit dem Grad der Bildung nicht nur des Einzelnen, sondern einer
Gemeinschaft zusammenhängen. Gründe sind – im Unterschied zu
Ursachen – immer Urteils-Akte der Anerkennung von konkreten
Personen, denn erst in diesen praktischen Anerkennungsakten zeigen
sich die Erfolgsbedingungen, indem etwas (in einem anderen)
„bewirkt“ wird – und zwar als Folge eines Gründegebens und nicht
einer Ursachenbeschreibung.
Viele Theorien des kooperativen Handelns greifen jedoch zu kurz,
wenn sie gewisse kategoriale Differenzen nicht treffen. So verfehlt
nicht nur das Übergehen der Unterscheidung von Gründen und Ursachen
den Kern der Beschreibung kooperativen Handelns, sondern übersehen
auch solche Theorien die Besonderheit der Existenzweise des
Menschen, die gewisse Stufungen von Kompetenzen hinsichtlich
methodischer Ordnungen und Möglichkeitsbedingungen für freies
Kooperieren verwischen, wie Stekeler-Weithofer in seinem Aufsatz
über „flache Theorien“ plastisch beschreibt. Dass der Mensch nämlich z.B. auch eine Geschichte
hat, die sowohl ein individuelles als auch kollektives Gesicht
trägt, wird vom modernen Zeitgeist des Präsentismus und
Individualismus oft ignoriert oder missachtet, indem den
historischen Stufungen menschlicher Praxisformen zu wenig
Aufmerksamkeit geschenkt wird. Jedoch ist gerade auch individuelle
Autonomie in dialektischer Weise abhängig von einer Kultur des
gemeinsamen Handelns und einer gemeinsamen Kultur der Vernunft, also
abhängig von kollektiven Traditionen, ebenso wie Kultur von der
individuell-interpretativen Aneignung dieser abhängig ist. Dieser
wechselseitige Zusammenhang spiegelt sich auch im theoretischen
Zugriff auf Phänomene wider. Und es kann nicht einfach so getan
werden, als könnten wir begriffliche Unterscheidungen rein synchron
nebeneinander gestellt vornehmen und ihre Diachronizität, ihr
Gewordenseins einfach verschweigen. Wer so mit Phänomenen des
menschlichen Miteinanderseins umgeht, blickt auf sie aus einer
Gottesperspektive sub spezie aeternitatis und nicht aus ihr
heraus, wie es angemessen wäre.
Insofern ist die spezifisch menschliche Form, in der wir
gemeinsam kooperieren, so aufzufassen, dass ein gemeinsamer
Kooperationsraum als Gegenstand des Kooperierens allererst möglich
wird. Das verlangt eine gemeinsame Perspektive der Beteiligten, denn
zwischen kooperativem Handeln, z.B. Erzählen und Verstehen, und bloß
koordiniertem Verhalten, z.B. dem Signalegeben eines Bienenvolkes,
besteht ein gravierender Unterschied. Er besteht darin, dass
menschliches Kooperieren die gemeinsame Kontrolle des gemeinsamen
Bezugnehmens beinhaltet. Insofern also, als jedes Urteil, das ich
fälle, je mein Urteil und insofern subjektiv ist, so ist die
Seinsweise des Inhalts meines Urteils als mögliche Urteilsform weder
in meinem Inneren noch einfach an einer beobachtbaren äußeren Welt
ablesbar, sondern generisch und damit allgemeine Bedingung richtigen
Urteilens und Folgerns überhaupt. Diese Auffassung schließt
Korrekturen und damit Normativität in der Beurteilung kooperativen
Handelns explizit mit ein, während ein Bienenvolk seine Lebensform
weder reflektieren noch korrigieren kann.
Leider wird jedoch in konventionellen Theorien über
verhaltenskoordinatives Handeln, wie sie teilweise auch in der
Philosophie kursieren, explizit ausgeklammert, dass zweckrationales
und instrumentelles Handelnkönnen eine moralisch verfasste Praxis
der Wissens-Tradierung und -Kontrolle voraussetzt. Von einer Erosion
freien Kooperierens wären außerdem alle Institutionen der
Wissenschaft und Bildung, des Rechts, der Politik und der Ökonomie
betroffen, denn von der freien Kooperation – und zwar als offene
Vergegenwärtigung der Gemeinsamkeit des Wollens und der Anschauung,
vielleicht sogar des Vertrauens und der Hoffnung in ein gemeinsames
Projekt begriffen, – leben alle Ordnungsstrukturen
gemeinschaftlichen Lebens von der Ehe bis zur Weltgemeinschaft – so
sehr sie und ihre Konzepte sich im Laufe der Jahrhunderte auch
unterscheiden und gewandelt haben mögen.
Die Anerkennung von bestimmten kooperativen Praxisformen als
Stabilisatoren kann jedoch bei autonomer Beurteilung auch umschlagen
in Nicht-Anerkennung von Institutionen oder ihren Methoden. Beides
geschieht meist post hoc. Als Auflehnung gegen implizit
schon weitgehend anerkannte, weil praktizierte Formen des
Zusammenlebens, verlangt Nicht-Anerkennung ein
kritisch-reflektiertes Urteil über die Realisierung bzw. Ausführung
bestimmter Handlungsformen. Dieses Urteil kann aber wiederum nur von
einer frei kooperierenden und damit authentischen und autonomen
Person bzw. Gruppe geleistet werden. Abgesehen davon, ob nicht die
Nicht-Anerkennung gerade auch stabilisierende Wirkung einer
bestimmten Praxis mit sich bringen kann, indem sie modifizierend
eingreift und an evtl. überholte oder durch Misstrauen belastete
(Macht)Verhältnisse angepasst wird, ist damit die Frage nach der
Richtigkeit oder nach der Vernünftigkeit von Anerkennung bestimmter
kooperativer Projekte weder gestellt noch beantwortet.
Der Begriff der vernünftigen Teilhabe rückt vor allem in Platons
Denken in den Mittelpunkt. In Platons Ideenlehre bezeichnet
Teilhabe (methexis) die Beziehung zwischen den
ewigen, unveränderlichen Ideen und den veränderlichen und
vergänglichen Einzeldingen. Die Einzeldinge gibt es, weil sie teil
an den Ideen bzw. am höchsten Sein der Ideen haben. Die Ideen sind
so genannte Urbilder, die Einzeldinge sind Nachbilder der Ideen. Der Ideenlehre kommt man aber nur dann nahe, wenn
man vom Gesichtspunkt des Wahren ausgeht, und zwar des
ontologisch Wahren. Dieses onto-logisch Wahre ist die
Idee des Wahren. Sie ist nicht das logisch Wahre,
das eine Eigenschaft unseres Denkens und Sprechens ist, sondern
Bedingung der Möglichkeit jeder Logik. Bei Platon kommt „Seiendes“
(und dazu gehört auch das „bloß Logische“) nie ganz an seine Idee
heran. Der Mensch kann im besten Falle teilhaben an ihnen. Da er
jedoch selbst sterblich, das heißt zeitlich und geschichtlich ist,
kann er sie jedoch nie selbst, ja nicht einmal adäquat erfassen.
Das alles klingt enorm idealistisch. Aber Platon war trotz seines
„Idealismus“ nicht Sinnenfeind, wie ihm fälschlicherweise oftmals
aufgrund der Hypostasierung seiner Ideenlehre nachgesagt wird. Vielmehr ist bei ihm (sinnliche) Erfahrung
bereits im Erkenntnisinhalt schon enthalten und muss nicht noch –
wie bei Kant – durch Erfahrungsmaterial ergänzt werden, während der
Geist sie durch apriorische Elemente schließlich ordnet. Im
Phaidon (73c-e) beschreibt Platon dies so:
„Wenn ich ein Bild meines Freundes sehe, erinnert es mich an
meinen Freund, indem es mich veranlaßt, das von ihm aktuell zu
denken, was ich potentiell immer schon von ihm weiß. Die Bilder
liefern mir nicht ein Bild meines Freundes; das besitze ich schon.
Sie veranlassen mich nur, meiner apriorischen Gehalte bewusst zu
werden. Und so sei es auch, wenn ich eine Gerade sehe, einen Kreis,
ein Quadrat, einen Menschen, ein Tier, eine Pflanze oder sonst
etwas.“
Es sind also Ana-logismen, die zur Einsicht in Sein und Wert
führen, nicht ein exaktes Berechnen oder logisches Beweisen im
modernen Sinn. Alles Erkennen geschieht bei Platon als ein ana
ton logon, also Analogisieren. Platons Grundposition ist die,
dass eigentliches Sein Teilhabe ist und diese ist Analogie. Noch
ein Vergleich zwischen Platon und Kant: Beide denken in apriorischen
Kategorien, bei Kant kommen Erkenntnisinhalte allerdings erst
zustande, bei Platon sind sie schon fertig, was aber nicht heißt,
dass auch das menschliche Wissen über sie schon fertig wäre.
Vielmehr muss man sich nach Platon in immer neuen dialektischen
Anläufen ihrer Gehalte weiter versichern. Dazu ist es notwendig,
sich nicht auf die Sinnenwelt zu beschränken, sondern zu versuchen,
zu wirklichem Wissen zu kommen. Ansonsten bleibt Erkennen bloß
Meinung (doxa) oder Glauben (pistis). Jene
stärkere Wirklichkeit der Ideen, die Platon so oft postuliert, ist
jedoch nicht völlig getrennt von der realen Weltlichkeit des
Menschen, so wie es die Zweiweltentheorie suggeriert. Vielmehr lehrt
uns Platon die Immanenz des Transzendenten, das Anwesendsein von
Ideen in der realen Welt als Regulativum für das „Schauen“ des
Wahren, Guten und Schönen, wenngleich die Teilhabe an den Ideen
immer menschlich beschränkt sein wird, wie uns Platon in seinem
bekannten Höhlengleichnis (7.Buch Politeia:514ff.) – wiederum
analogisch – nahe legt.
Teilhabe ist nicht gleichzusetzen mit dem Wissen um die Inhalte
der Ideen. Ist mit Teilhabe die allgemeine Beziehung von
Einzeldingen mit den Ideen gemeint, so bezeichnet Wissen eine
gewisse qualitative Graduierung dieser Beziehung. Eine notwendige
Bedingung für Wissen ist eine „wahre Überzeugung“. Eine notwendige
und gleichzeitig hinreichende Bedingung für Wissen ist die
Rechtfertigung bzw. Begründung der wahren Überzeugung. Diese
Rechtfertigung macht nur im Rahmen menschlicher
Kooperationsgemeinschaften Sinn, denn andernfalls haben wir es
lediglich mit subjektiven Meinungen oder Glaubensbekenntnissen zu
tun. Teilhabe setzt in diesem Sinne immer auch die aktive, Stellung
nehmende Teilnahme an gemeinschaftlichen Prozessen der
Überzeugungsgewinnung durch Deskriptivierung und Normierung der
Umwelt voraus.
2.2. Autonomie und Vernunft
Insofern Teilhabe als Teilnahme reflektierend
auf die kooperativen Rahmenbedingungen gemeinschaftlichen Lebens
stattfindet, haben wir es mit autonomen Akten zu tun. Autonomie
beschreibt im Allgemeinen das Vermögen eines Erkenntnis- und
Handlungssubjektes, unabhängig von äußeren Zwängen die Gegenstände
seiner Erkenntnisbemühungen bzw. die Ziele seines Handelns selber zu
setzen. Dieser Vorbegriff ist noch missverständlich bzw.
unvollständig, da sich jede selbst zugeschriebene Handlung nur vor
dem Hintergrund von sozialer Einübung und kultureller Tradition
vollzieht, die immer schon auf Kooperation beruht. Psarros (2005)
weist in diesem Zusammenhang zu Recht auf die Unterscheidung
zwischen Autonomie im schwachen und im starken Sinne hin:
„Autonom im schwachen Sinne ist eine Entität, wenn sie nicht
bezüglich der Zielsetzung, sondern lediglich bezüglich der
‚Realisationsoption‘ selbstbestimmt ist, etwa wenn das Ziel
vorgegeben, aber die Methode zu seiner Erreichung freigestellt ist.
Typische Beispiele schwacher Autonomie sind politisch autonome
Gebilde, die Subsidiarität staatlicher ‚Untereinheiten‘ und der
‚Ermessensspielraum‘ von Beamten. Im Bereich der Technik wird
schwache Autonomie in Form von ‚black box Prozesse‘ realisiert.
Schwache Autonomie ist ebenfalls in einem bestimmten Begriff des
Menschen implementiert, etwa beim Kind oder beim antiken Sklaven
[…]. Die Autonomie im starken Sinne hingegen (Souveränität)
beinhaltet die Selbstbestimmung der Ziele und der Mittel.
Beispiele dieser Form von Autonomie sind souveräne Staaten und
Personen.“ (Psarros 2005:93)
Wer autonom handelt, bezieht sich auf etwas, das sich bestimmen
bzw. zuteilen lässt. Das Vermögen, etwas zu bestimmen oder
zuzuteilen, ist aber von der Anerkennung bzw. (Nicht)Billigung
Anderer abhängig und insofern kein physikalisches, sondern ein
soziales Vermögen. Autonomie spielt sich also in einem Raum sich
gegenseitig anerkennender und insofern potentiell kooperativ
agierender, autonomer Personen ab, denn auch der Andere muss
schließlich selbst in der Lage sein, das zu bestimmende
Handlungsziel als Option für die eigene Selbstbestimmung
einzuschätzen und evtl. zu akzeptieren. Autonomes Handeln – auch in
ihrer starken Form – kann also nicht streng allein auf sich selbst
bezogen (autark/selbstgenügsam) sein, sondern vollzieht sich im
gemeinschaftlichen Rahmen kooperierender Subjekte, die in soziales
Handeln immer schon eingeübt worden sind.
Im theoretischen und praktischen Austausch der kooperierenden
Subjekte werden Normen und Formen des Richtigen und Falschen, des
Zweckmäßigen und Unzweckmäßigen usw. für so ziemlich alle
Lebensgebiete ausgehandelt und um sie als allgemeingültige gerungen.
Ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit wiederum gewinnen sie aus dem
spezifisch menschlichen Vermögen, übergreifende Ordnungs- und
Sinnzusammenhängen zu erfassen, die aus letzten Prinzipien und dem
(autonomen) Setzen von Handlungsrahmen, Zielen und Zwecken
resultieren. Dieses Vermögen nennen wir gemeinhin Vernunft.
Wir unterscheiden seit Kant zwischen theoretischer Vernunft als dem
Vermögen, nach Prinzipien zu urteilen; und praktischer
Vernunft als dem Vermögen, nach Prinzipien bzw. Maximen zu
handeln. Da auch das Urteilen ein Handeln ist, ist auch das
Urteilen immer ein Vollzugshandeln, das gewissen Grundüberzeugungen
folgt, die man in Auseinandersetzung und Anerkennung der eigenen
sozial-kulturellen Herkunft gewinnt. Insofern kann theoretisches
Wissen nie vollständig frei gesprochen werden von praktischer
Verantwortung.
3. Mitbestimmung
Es wurde in diesem Beitrag versucht, die Worte Kooperation,
Teilhabe, Wissen, Autonomie und Vernunft in die
Mitbestimmungsdebatte einzubringen und ihr so ein begriffliches
Gerüst zu geben. Dieses Gerüst stützt sich jedoch nur so lange
selbst, wie es in der konkreten Bezugnahme auf reale Phänomene, z.B.
das zunehmende Verschwinden von Mitbestimmungsmöglichkeiten an
deutschen Hochschulen, seine Anwendung findet. Andernfalls bleibt es
abstraktes Konstrukt von Bedeutungen. Da die bisherigen Ausführungen
zur zirkulären Bedeutungsvernetzung noch sehr theoretisch waren,
soll im Folgenden andeutungsweise der eine oder andere
Anwendungsbezug hergestellt werden.
Mitbestimmung ist – wie deutlich geworden sein sollte – nicht nur
eine sinnvolle und angemessene Forderung nach Teilhabe an
gemeinschaftlicher Kooperation, sondern Ausdruck autonomer
Bestrebungen, aktiv zu kooperieren. Sie fordert nicht mehr als sie
einzulösen imstande ist und ist daher nicht überzogen, sondern eine
angemessene Forderung. Mitbestimmung ist eben keine
Forderung nach Alleinbestimmung, Alleinherrschaft, nach Revolution
der Verhältnisse, nach Vorherrschaft einer Gruppe vor einer anderen
oder dergleichen. Vielmehr geht es um die Einsicht in die notwendige
Teilhabe aller an einem gemeinsamen Projekt Beteiligten mit einer
möglichst maximalen Bedürfnisbefriedigung auf allen Seiten.
Das Konzept der Autonomie kann nun für die Debatte um
Mitbestimmung genau dann für heutige Diskurse an Bedeutung gewinnen,
wenn z.B. sein philosophischer, manchmal auch analogischer
Grundgedanke übersetzt und an heutige Problemlagen angepasst werden
kann. Dann nämlich können auch ganz allgemeine Einsichten über die
möglichst gute Funktionsweise einer Gemeinschaft (und damit ist
sowohl ihre Praktikabilität als auch ihr moralischer Zusammenhalt
gemeint) fruchtbar gemacht werden für konkrete Fragestellungen.
So lässt sich auch Platons Gedanke der Teilhabe (gr.
methexis, lat. participatio) verstehen: Liest man
Platons Ideenlehre nicht buchstäblich und damit substanzontologisch,
dann wird schnell klar, dass die Ideen, von denen er spricht, nur
„ewig“ und „unvergänglich“ sein können aufgrund des überzeitlichen,
generischen Charakters menschlich-veräußerter Gemeinschaftsprojekte.
Diese müssen aber je aufs Neue in der Zeit durch konkrete Menschen
individuell realisiert werden. Nicht die Projektideen sind ewig,
sondern die idealen Rahmenbedingungen, Praxisformen und
institutionellen Strukturen, innerhalb derer sie ausgehandelt
werden. Mitbestimmung ist dann zu verstehen als das Einfordern des
Sicherinnerns an die rahmenden Grundvoraussetzungen kultureller
Praxisformen und deren Objektivationen, nämlich ein appellatives
Erinnern an die für Menschen existenzielle Notwendigkeit
gemeinschaftlichen Kooperierens.
Notwendig ist Mitbestimmung – verstanden als Teilhabe
und Teilnahme – vor allem deshalb, weil ein gemeinsames Projekt nur
als gemeinsames bestehen kann, weil die Existenz und Beteilung
mehrerer Seiten konstitutive Grundvoraussetzung für dessen Existenz
ist. Bezogen auf die Hochschul-Problematik heißt das im Klartext:
Weder ohne das autonome Kooperieren von Studierenden/Promovierenden
noch von Professoren- und Leitungsebene gäbe es Hochschulen,
Universitäten oder Bildung überhaupt. Wer, wenn nicht diese beiden
Ebenen sind die Hochschul-Experten-Bereiche? Denn um sich zu bilden
(bzw. sich auszubilden), bedarf es Vor-bilder und entsprechender –
gemeinsam geschaffener – institutioneller Rahmenbedingungen. Ein
Vorbild aber wird nur zum Vorbild im sozialen Akt freier
Beurteilungen einer Person oder Sache. Dies nennt man im Allgemeinen
Anerkennung zollen, Respekt oder Achtung haben.
Der kurze, vor allem aber autonome Weg von der Forschung zur
Lehre und zurück war ehemals das Kennzeichen der
universitas und eines auf Kooperation basierenden
Bildungsgedankens, der zunehmend im Begriff ist, aufgegeben zu
werden. Gegenseitige Achtung, verbunden mit dem Bewusstsein des
gegenseitigen Aufeinanderangewiesenseins, im Dienste einer
gemeinsamen vernünftigen regulativen Idee von der Gestaltung einer
lebenswerten Gesellschaft sollten deshalb wesentliche Kennzeichen
von Mitbestimmung sein.
Mitbestimmung ist (wie Autonomie auch) eine vernünftige
Forderung. Dass Mitbestimmung tatsächlich eine Forderung der
praktischen (moralischen) Vernunft ist, kann an Kants Begriff der
Autonomie verdeutlicht werden. Für Kant ist Autonomie die Fähigkeit
der Vernunft, sich selbst sittliche Gesetze zu geben. Er bringt dies
mit dem berühmten kategorischen Imperativ auf den Punkt: Handle so,
dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer
allgemeinen Gesetzgebung gelten können sollte. Vernunft bezeichnet
dabei das Vermögen der Zusammenschau übergreifender Seins- und
Sinnzusammenhänge. Zur Bestimmung meiner selbst brauche ich doch
zumindest einige andere. Genauso wie ich zur Selbstbestimmung und
Autonomie meiner selbst immer andere als notwendige Bedingung der
Möglichkeit brauche, so brauchen wir sie für Gemeinschaftsprojekte
umso mehr. Hochschulen und Universitäten sind vor allem anderen
solche Gemeinschaftsprojekte.
Nun wurde Kants Autonomiebegriff oft als subjektphilosophisch,
formalistisch und überzogen kritisiert. Ein Weg, sein
Aufklärungsprojekt trotz dieser Vorwürfe zu retten, ist, ihn aus der
subjektphilosophischen Perspektive in eine sozial- und
kulturphilosophische zu heben. Das heißt, aufhören so zu tun, als ob
Geschichte und gesellschaftlicher Wandel von Großsubjekten gewollt,
getan und erzählt würde. Auch das, was wir über Autonomie – dann
auch über Mitbestimmung – jeweils berichten und erzählen, kann nicht
unabhängig vom Ringen um richtige bzw. wahre Geschichten geschehen.
Nur so wird der Vernunftbegriff wieder in einen komplexen
praktischen und geschichtlichen Zusammenhang gebracht und verliert
sein subjektivistisches Überzogensein.
Vernunft als gemeinschaftliche zu begreifen heißt deshalb zu
erkennen, dass wir uns in einem wechselseitigen Dialog
unterschiedlicher Perspektiven auf die Welt befinden. Diese
unterschiedlichen Perspektiven haben unterschiedliche Motivationen
als Antriebsmomente: Interessen, Machtpositionen, Hierarchie- und
Ständedenken, Alter, politische Überzeugungen usw. Als dialektisches
Gespräch durch die Geschichte hindurch ist Vernunft also eingebettet
in moralische, oft auch politische Rahmenbedingungen des
Aushandelns, Kooperierens, Konkurrierens und Kompromissefindens
unter der Maßgabe gegenseitiger Anerkennung der Andersartigkeit der
Beurteilung von Sachverhalten. Die Einsicht in die Reichweite der
Steuerbarkeit komplexer sozialer Systeme enthält also in ihren
Beschreibungen bereits normative Implikationen, deren
Urteilskriterien längst praktisch etabliert sind und in die wir
hineinsozialisiert bzw. enkulturalisiert werden, ohne dass
wir es merkten oder uns wie Münchhausen aus ihnen vollständig
herausziehen könnten.
Ein zentrales Argument Hegels gegen Kant ist in diesem
Zusammenhang, dass der gute Wille und die moralisch gute Absicht,
die Kant so stark macht, allein nicht für die Rechtfertigung einer
Handlung bzw. für die Begründung einer moralischen Beurteilung
ausreichen. Der Appell an die Vernunft, an Rationalität, Wahrheit,
Wirklichkeitssinn und Wissenschaftlichkeit bleibt für Hegel nämlich
so lange bloßer Appell und gebunden an die Urteile über
Anerkennbarkeit, so lange die nur möglichen Rahmenbedingungen keinen
Maßstab für die – wiederum möglichst autonome – Anerkennung
von Urteilen und Argumenten an die Hand geben. Das angeblich Bessere
eines Arguments ist ja nicht unabhängig von seiner faktischen
Anerkennung in einer bestimmten Wir-Gruppe bestimmbar. Deshalb gilt
es innerhalb des kooperativen Mitbestimmungsprozesses eben solche
Maßstäbe zum Inhalt von Debatten zu machen.
Evidenzmaßstäbe sind allerdings selbst kulturell different, was
die Einführung universalistischer Maßstäbe und rationalistischer
Argumentationsformen erschwert, aber gleichzeitig auch Chance ist.
Denn auf der anderen Seite ist der faktisch erreichte Kompromiss
oder Konsens – wie wir oft in der Politik im persönlichen Alltag
oder bei den gegenwärtigen Hochschulreformen erleben – eben nur ein
fouler, der nicht selten aus einem Mix aus Entscheidungsdruck,
Sachunkenntnis, mangelnder Folgenabschätzung sowie aus
Machtinteressen zustande gekommen ist. Ist bzw. war dies so, dann
handelte es sich offenbar nicht um eine freie, vernunftgeleitete
Kooperation, sondern nur um die Durchschnittsmenge bzw. den
kleinsten gemeinsamen Nenner eines irgendwie Miteinander-Umgehens,
das hinter die je einzelnen Positionen und Ansprüche
zurückfällt.
Wer sollte sich nun um eine vernünftige Bildungsreform kümmern,
wenn nicht die Bildungsaristokraten? Wie deutlich wurde, kann dieser
Titel ebenso wenig von einer Selbst-be- bzw. ernennung
abhängen wie er reine Fremdzuschreibung sein kann. Vielmehr ist
unter den gesellschaftlichen Kooperationspartnern allererst
vernünftig und autonom auszuhandeln, wer arbeitsteilig die
Gestaltungsrechte und wer die Fürsorgepflicht für das gegenwärtige
Hochschulreformprojekt innehat. Dazu sollte – nach Maßgabe Platons –
jeder das Seinige tun, letztlich kann Mitbestimmung als
Kooperationsteilhabe immer genau nur so vernünftig und wirklich sein
wie Vernunft und Wirklichkeit dialektisch verfasst sind.
LITERATUR
Anscombe, G. E. M.; Intention, Oxford 1957. Arrow, H./
McGrath, J.E./ Berdahl, J.L.; Small groups as complex systems.
Formation, coordination, development, and adaptation. Sage, London
2000. Boos, M.; Entscheidungsfindung in Gruppen. Eine
Prozessanalyse. Huber, Bern 1996. Hirschberger. Johannes;
Geschichte der Philosophie, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 12.
Aufl. 1980. Platon; Politea, ders.; Philebos und ders; Phaidon,
in: Werke in acht Bänden, bearbeitet von D. Kurz, Darmstadt
1990. Psarros, Nikos; Autonomie und Autarkie, in: Kober, Michael
(Hrsg.); Soziales Handeln. Beiträge zu einer Philosophie der 1.
Person Plural (Bausteine zur Philosophie 23. Interdisziplinäre
Schriftenreihe Humboldt-Studienzentrum Universität Ulm 2005, S.
85-95. Turner, M.E. (Ed.); Groups at work, theory and research.
Erlbaum, Mahwah 2001. Stekeler-Weithofer, Pirmin; Flache Theorien
der Intention und Kooperation, in: Kober, Michael (Hrsg.); Soziales
Handeln. Beiträge zu einer Philosophie der 1. Person Plural
(Bausteine zur Philosophie 23. Interdisziplinäre Schriftenreihe
Humboldt-Studienzentrum Universität Ulm 2005, S. 130-147.
Arrow et al 2000; Boos 1996, Turner 2001.
Die platonische Konzeption wurde im Neuplatonismus
modifiziert. In der christlichen Philosophie, z.B. bei Augustinus
oder Thomas von Aquin, spricht man von der Partizipation, von der
Teilhabe eines endlichen Seienden an dem unendlichen göttlichen Sein
bzw. an der unendlichen göttlichen Fülle.
Dagegen spricht unter anderem auch sein Buch
Philebos, in dem er sich für ein aus Lust und Tugend,
Einsicht und Leidenschaft gemischtes Leben entscheidet, dass jedoch
geordnet und beherrscht wird von Maß, Richtigkeit, Vernunft und
Einsicht als Begleiterscheinungen des Prinzips des Guten.
Die verschiedenen Bedeutungen von „Idee“ bei Platon
sind u.a.: 1. Idee als allgemeiner Begriff (logos), 2. Idee
als Wesenheit (ousia), 3. Idee als Ideal oder Urbild , 4.
Idee als Ursache (aitia) und Idee als Ziel und Zweck
(telos). (Vgl. Hirschberger:109f.)
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